Prof. Dr. Heinz Spielmann
am 12. August 2000 im Himmelssaal
im Haus Atlantis,
Böttcherstraße Bremen
Sehr geehrte Frau Füssl,
lieber Peter Hagenah
liebe Frau Hagenah,
liebe Frau Pluquet,
lieber Görge Hohlt,
verehrte Gäste!
Man sage nur, es gäbe keinen Fortschritt. Sie haben ihn gerade oben
bereits schon beschrieben: Von den Gewölben einer Kunst-Krypta in der Erde
zu den Gewölben eines Himmelsaales. Was den Himmelssaal betrifft, ist es
ja noch nicht ganz soweit, Herr Hagenah, etwas Zeit haben wir noch, aber
immerhin: Der Fortschritt hat seine historischen Dimensionen.
Historische Dimensionen heißt hier: daß wir einen Rückblick über 50 Jahre
Keramik, Keramikvermittlung, Keramikerlebnisse über fünf Jahrzehnte
Keramikpassion in Erinnerung zu bringen haben.
Ein halbes Jahrhundert: Das ist schon ein Stück Geschichte, ein halbes
Jahrhundert erlaubt uns, glaube ich, Urteile zu fällen, die vor 50 Jahren
noch nicht so sicher waren, wie sie uns heute scheinen. Wie war damals die
Situation der Keramik?
Ich will es Ihnen mit einem Wort beschreiben: Als ich 10 Jahre später,
1960, eine Zylindervase, ein Unikat von Jan Bontjes van Beek kaufte, und
dafür DM 24.-- ./. 10% bezahlte, sagte jemand zu mir: Soviel Geld geben
sie für eine Vase aus?
Ich glaube mit solchen Erfahrungen weiß man, daß Keramik keineswegs etwas
war, was für die Gesellschaft damals viel bedeutete. Andererseits, im
historischen Rückblick, wie wir ihn jetzt für Tokio und für ein
Jahrhundertunternehmen von 1900 bis 2000 vorbereiten, war die Zäsur für
die Keramik vielleicht nicht so groß, wie für andere Künste, weil die
Keramik nun einmal nicht als entartet galt, mochte auch der führende
Vertreter dieser Keramik Jan Bontjes van Beek politisch verfolgt sein.
Es gab natürlich einen Einschnitt durch den Krieg, durch die
Nachkriegszeit, durch Materialmängel, durch das Fehlen geeigneter Räume.
Vor allem gab es in der Gesellschaft kein Interesse für das Metier. Das
Interesse mußte zunächst wieder geweckt werden. Die Situation der Keramik
war also schwierig.
Was war neu an der Situation? Plötzlich entstand
etwas in nur relativ kurzer Zeit - sagen wir in zwei Jahrzehnten - was es
vorher so noch nicht gegeben hatte: Die Keramik des 20.Jahrhunderts wurde
gesammelt. Wenn sie sich einmal überlegen, wie wenig Privatsammlungen es
in den 20er oder 30er Jahren gab, dann finden sie vielleicht um 1900
Sammlungen des Jugendstils, aber Keramiksammlungen hat es zumindest im
Privatbesitz noch nicht gegeben. Das war neu.
Und die Privatsammler,
angeleitet durch eine Handvoll - man kann wirklich sagen eine Handvoll -
von Vermittlern wie Peter Hagenah, diese Sammler begannen nun, ihre
Arbeiten zusammenzutragen. Sie besaßen z.T. mehr als die Museen. Ich
erinnere mich, als ich die Moderne Abteilung des Museum für Kunst und
Gewerbe in Hamburg 1960 übernahm, paßte der Bestand an moderner Keramik in
drei Vitrinen.Ich kann ihnen heute fast noch die Stücke sagen, die von
Bampi, von Popp und von Gilbert Portanier da waren. Wenn ich recht
entsinne, waren es insgesamt 17 Stücke, also nicht sehr viel. In den
anderen Museen war es wohl nicht viel anders.
Hier in der Kunst-Krypta konnte man unendlich viel mehr sehen. Man konnte
sich reichlichst bedienen - wenn man sehen konnte und wenn man Gefühl
hatte, für das, was hier möglich war.
Die Präsentation von Peter Hagenah erfolgte zu einem Zeitpunkt, in der
sich die Form der modernen Keramik etwas wandelte. Wir kannten vor dem
Krieg die gerundeten, schlichteren, die kompliziert stereometrischen
Formen des Bauhauses ablösenden Formen. Wir kannten neue Entwicklungen im
Bereich der Glasur. Wir kannten dann allmählich eine Rückbesinnung auf
gewisse Einflüsse der Volkskunst. Es entstand etwas, das wir vorher so
nicht gekannt hatten. Wir entdeckten plötzlich, daß organische Formgebung
wieder gefragt war, daß es bald zu einem neuen Verständnis der
Stereometrie kam, und dies passierte eigentlich in den Jahren zwischen
1950 - 1962, genau in der Zeit, in der Peter Hagenah hier seine
Kunst-Krypta führte.
Die Künstler die dort vertreten waren, sind heute größtenteils berühmt.
Diejenigen, die wir heute zum größten Teil davon in der Ausstellung sehen,
gehören zu einer Gruppe von ihnen, die in der Geschichte der deutschen
Keramik darüberhinaus ohne Zweifel um die Jahrhundertmitte eine große
Rolle gespielt haben.
Nun reicht der Begriff der Jahrhundertmitte nicht aus. Wenn wir an den
Beginn mit Auguste Papendieck denken, wenn wir daran denken, daß Elisabeth
Pluquet und Görge Hohlt heute noch arbeiten, dann dürfen wir sagen:
Eigentlich vertreten die hier ausgestellten Künstler ein ganzes
Jahrhundert.
Wir haben in der erwähnten Ausstellung für Tokio (gerade gestern habe ich
das entsprechende Kapitel abgeschlossen) viele dieser Künstler in einer
Rubrik zusammenzufassen versucht. Zunächst dachte ich, ich wollte von den
Klassikern der deutschen Keramik sprechen. Aber die vielen Fragen der
japanischen Kollegen haben mich eines Besseren belehrt. Man kann das Wort
"Klassiker" nicht übersetzen. Ich habe ungefähr eineinhalb Autostunden
versucht den japanischen Freunden den Begriff zu definieren. Es war
hoffnungslos.
Also haben wir etwas gewählt, was auch für Japan verständlich ist, und ich
glaube, der Begriff ist richtig: Wir haben von den "Lehrern" der Moderne
gesprochen. Nicht in dem Sinn, daß diese Lehrergeneration, die sich über
eine ganze Spanne von Jahren erstreckt, an allen Schulen tätig war,
sondern in dem Sinn, daß von dem, was ihr Werk vermittelte, Maßstäbe
ausgingen. Maßstäbe für das, was ein gutes Gefäß durch Proportion, durch
Formerfindung, durch Phantasie und Glasur ist. Alle diese Klassiker, alle
diese Lehrer, die zu dieser Generation gehören, haben ihre Aufgabe auf das
Gefäß gerichtet.
Das erscheint heute nicht mehr als selbstverständlich. Es muß auch nicht
selbstverständlich sein, denn man würde dann vielleicht der Stagnation das
Wort reden. Aber man muß doch festhalten, daß ein Unmaß an Phantasie, an
Formentwicklung, an Technologie, an Subtilität von Glasuren sich auf ganz
einfache Gefäße konzentrierte.
Es hat vielleicht, wenn man von einigen Jugendstilexperimenten absieht, in
der gesamten Geschichte der neueren Keramik, in Deutschland und in Europa,
kaum eine Generation gegeben, die sich so auf das Gefäß konzentrierte und
die im Gefäß mehr eine dienende Funktion, andererseits aber auch eine
Bereicherung für die Gesellschaft sah. Dies war etwas völlig anderes als
beispielsweise in England, wo die Gesellschaft mit der Studio-Pottery,
allein mit Gebrauchsgefäßen sich einen anderen Standard gab.
Diese Gebrauchsfunktion wurde bei uns anders erfüllt: Hier ging es um das
Unikat, um das ausgefallene, das individuelle Unikat.
Als ich vor ca. 24 Jahren die erste Ausstellung moderner deutscher Keramik
in Japan zeigte, schrieb eine Zeitung aus der Feder eines bekannten
Kunstkritikers: Als er diese deutsche Keramik zum ersten Mal gesehen
hätte, sei es so etwas wie ein Schock gewesen. Ich weiß nicht was er sich
vorstellte. Ich glaube, die Japaner erwarteten eine Art "Beethovens
keramische Schicksalssinfonie aus Ton, nicht aus Tönen." Das war es aber
nicht, es war die Subtilität des Rechnens von Glasuren, die Subtilität des
Umgangs mit der Natur über den Weg der chemischen Technologie. Wenn ich
sage, daß diese chemische Technologie ästhetische Ziele hatte, dann sage
ich nur einen Teil der Wahrheit. Ich glaube, daß die Suche nach subtilen
Glasuren, nach einem Ausdruck von Natur etwas ist, das existentielle
Dimensionen annehmen konnte.
In diesem Zusammenhang will ich daran erinnern, daß Jan Bontjes van Beek,
als er in der Gestapohaft saß, so hat er mir glaubhaft versichert und nicht
wußte, ob die nächste Tür, die sich öffnen würde, den Henker einließe oder
nicht, daß er mit einem Bleistiftstummel und einem Stück Papier in seiner
Zelle saß und Glasuren rechnete. Und lieber Görge Hohlt, wenn ich an Ihren
Bruder denke, an diese verzehrende Passion, mit der er Glasuren suchte,
die in diesem Fall durch das Medium Keramik erfolgte.
Ich will jetzt nicht alle einzelnen Künstler der Ausstellung beschreiben,
aber ich möchte sagen, daß sich auch in diesen Gefäßen, die sie heute
sehen können, eine Entwicklung spiegelt, die zumindest die Entwicklung
seit den dreißiger Jahren also über dreiviertel des Jahrhunderts sichtbar
macht. Das ist viel.
Aber man kann über diese historischen Dimensionen nicht sprechen, lieber
Peter Hagenah, ohne Sie selbst in diese historische Dimension einzuführen.
Sie sind nun ein halbes Jahrhundert aktiv, zehn Jahre mehr als ich. Das
ist eine ganze Menge, und Sie sind immer noch tätig.
Für Sie ist die Keramik gleichfalls eine existentielle Frage, es ist eine
ungebremste Passion, man möchte sagen, eine unbremsbare Passion, die Sie
kennzeichnet und die Sie immer wieder dazu bringt, Keramik an Andere zu
vermitteln.
Es ist ja eine Aufgabe, die Sie sich selbst gestellt haben, die für Sie
kein Ende hat, die fortgeht, die natürlich auch auf die Jüngeren gerichtet
ist.
Und wenn kürzlich die Teilnehmer der GRUPPE 83, die Creme der deutschen
Keramik bei Ihnen in Otterndorf waren, dann war es ja eine andere Form der
Hommage: Alle waren und sind Ihre Freunde, und Ihre Freunde erschöpfen
sich eben nicht nur in den Künstlern, sondern genau so gut in denen, die
Sie bereichert haben. Und dafür danken wir Ihnen.